Sinn und Sinne

Glitzer – Documenta 2022 – Kunst-Sinn

In der Folge vom 17. Juni 2022 von „Aspekte“
berichten Katty Salié und Jo Schück von und über die Documenta.
Die Documenta steht ganz im Zeichen des gemeinschaftlichen Miteinanders.
Kunst als eine Angelegenheit des Kollektivs – hat der einzelne Künstler ausgedient?

Alles Lumbung oder was? – Die Documenta 15 in Kassel – ZDFmediathek

In voller Länge

Dieses Mal bleibt es nicht beim kurzen Reingucken.

Die von Fachkreisen hochgelobte, aber auch kontrovers diskutierte Ausstellung
auf dem  Kasseler Stadtgelände hat mich bisher nicht begeistern können.
Die gab es halt. Viel Spaß für alle, die es mögen.
Und immer noch, da bleibt ein hakeliges Gefühl, auch nach dem Bericht.
Zu verkopftes Intellektuellen – Gehabe.
Schon diese Sprache!

Warum redet die Kunst-Welt
hier von „Kollektiven“?

Ich höre zu und versuche herauszubekommen,
was das angeblich so Besondere sein soll.
Meinem trägen Hirn fällt das einigermaßen schwer.
Ich höre nämlich immer dann auf, etwas zu mögen,
wenn es in wissenschaftlichen Stein,
sprich wissenschaftliche Geheimsprache,
gegossen wird.

So, dass ein aufgewecktes, normal funktionierendes Gehirn,
das nicht in dieser Fachrichtung ausgebildet ist oder studiert hat
und schon gar nicht in dieser Umgebung aufgewachsen ist,
keine Möglichkeit hat, „mitzukommen“.

Das heißt, wenn es absichtlich oder gedankenlos abgehoben,
„elitär“ (den Rest ausschließend) wird.

Kunst für alle oder?

Und doch braucht echte Kunst
(nicht nur die akademisch anerkannte)
das Wahrnehmen und darüber Reden.

Oder vielleicht nicht unbedingt das Reden, sondern den Austausch
über die Wahrnehmung, über die Gefühle, Gedanken, Verknüpfungen,
die die Betrachtenden dazu haben.

Wie soll das aber gehen, wenn ich dafür erst eine neue Sprache erlernen muss,
einen ganzen Werkzeugkoffer an Ausdrücken und Beschreibungen
anlegen, sammeln, zu gebrauchen lernen muss,
um mit den Kunstschaffenden oder/und zu ihrem Werk
einen „Draht“ zu bekommen?

Was hilft es, wenn die Sprachbrücke keine freien Zugänge bietet,
sondern ein Studium voraussetzt?

Ich soll als Betrachtende doch aufmerksam werden auf das,
was da als Kunststück erschaffen wird.
Entweder als Ausdruck des Kunstschaffenden, ein Abbild seiner Weltsicht,
(„Was soll das darstellen, was will es mir sagen?“)
oder als Anstupsen für mich als Betrachtende
(„Was bewirkt das in mir?“ Was kann ich daraus lernen, neu bewerten,
bestätigen, ändern, verstärken, bremsen, darüber lachen, weinen 
oder auch einfach den Kopf schütteln …?“)

Der Weg zählt – eine neue Sichtweise

Eine Aussage ist mir im Kopf kleben geblieben:
Es soll bei dem Kunstwerk
– besonders, wenn es, wie hier thematisiert, im „Kollektiv“ entsteht –
nicht um das Ergebnis, das Endprodukt, 
sondern um die Erschaffung (den Schöpfungsakt) gehen.

Das sei „neu“.

Einspruch!

Nee, mit Verlaub. Ist es nicht!

Wie alt sind die Sandbilder der Navajo?

Sandbild – Wikipedia

Genau, das ist eine uralte Kunst, bei der das so entstandene Bild
sofort nach der Zeremonie (Ritual, feierliche Handlung) wieder zerstört wird.

Gibt es diese Sand- oder Blumenbilder zu Zeremonie-Zwecken
nicht in verschiedenen Kulturen seit undenkbaren Zeiten?
In christlichen Gegenden zum Beispiel kennen wir 
die festlichen Blumenteppiche auf dem Boden zu Fronleichnam.

Wer erinnert sich an die Bibelstelle mit dem Goldenen Kalb?
Trifft es vielleicht nicht ganz? Oder doch?

Goldenes Kalb – Wikipedia

Euch fallen bestimmt noch mehr Beispiele ein,
bei denen es nicht um den Wert des Produktes,
sondern um das Handeln, Werden und Entstehen, geht.

Schon als Kind haben viele sich mit Buntstiften,
dem Steckspiel aus Perlen oder
einfachen Klemmsteinen beschäftigt.

Und diese mit gleicher Freude wieder auseinandergenommen,
nur um gleich wieder etwas Neues zu basteln,
sogar oft ohne die „Werke“ jemals herzuzeigen.

Machen wir nicht alle ab und zu kleine Kritzeleien
zum Beispiel während des Zuhörens,
oft sehr kunstvoll und doch sehr kurzlebig,
letztendlich nur für den Papierkorb?
Oder habt ihr etwa eine persönliche Sammlung davon?

Das geschieht einfach als „Beschäftigung“, um in die Ruhe,
in einen bestimmten Bewusstseinszustand zu gelangen,
mal in die eigene Welt zu versinken.

Also, ich meine, es ist ganz und gar nichts Neues,
dass das Produkt an sich nicht das Wesentliche ist,
sondern das entspringt einem ursprünglichen, allgemeinen Bedürfnis.
Ausdruck, Handeln, Erschaffen.

Wie verstehen wir Kunst?

Es scheint also, dass über Kunst zu reden nicht der goldene Weg
zur Wahrnehmung und Auseinandersetzung
mit dem Anliegen der KünstlerInnen und Kunstwerke ist. 
Oder zumindest nicht der sicherste und einfachste.

Kunsterleben läuft meinem Empfinden nach über die Sinne,
alle die Sinne, die wir jeweils persönlich zur Verfügung haben.
Und zwar meine ich damit alle die Sinne,
mit denen wir unsere Umgebung, unsere Welt erkunden,
die Information, die wir sozusagen in uns aufnehmen.

Diese Information wird dann in unserem Gehirn,
je nach abgespeicherten Erfahrungen, „Wissen“ oder Techniken 
bewertet, sortiert, zu etwas verarbeitet,
was wir „Sinn“ nennen können.

Deshalb kommt einmal Unsinn, einmal Blödsinn, einmal Schwachsinn,
das andere Mal Kunstsinn, Erkennen, Verstehen, sogar Ganzwerden
(im Sinne von das Puzzlestückchen finden,
das noch zum Gesamtbild gefehlt hat),
also „Heilung“, von was auch immer, dabei heraus.

Dauerhaft oder als klitzekleiner heller Augenblick.

Und doch, Sprache oder Austausch,
gegenseitiges Zeigen und Verstehen,
Entdecken und Spiegelbilder entdecken,
Zustimmung, Ablehnung, Gleichgültigkeit
(die kann, anders als wir den Begriff  im Alltag
oft nutzen, auch als Gleichwertigkeit
aufgefasst und „verarbeitet“ werden ),
können das Erlebnis des „Kunstgenusses“ unglaublich steigern
und zu etwas Unvergesslichem werden lassen.
Und sogar unsere Wertesysteme verändern.

Das ist doch super, oder?

Bewusstseins-Erweiterung oder Abschreckung?

Um die Menschen „wach“ und zugänglich zu machen für diese Art des Erlebens,
braucht es manchmal drastische Mittel, die gelegentlich Empörung auslösen.
Damit sollten die Betroffenen nun nicht allein gelassen werden.
Das ist der Schritt der „Nacharbeit“,
wenn das Aufknacken der Gewohnheits-Schale gelungen ist.

Es kommt darauf an, was man daraus macht

Was fange ich jetzt mit dem an, was die Kunst in mir auslöst?
Welche Möglichkeiten eröffnen sich für gute Veränderungen,
auch wenn ich jetzt erst mal irritiert,
niedergeschlagen oder stinkwütend bin?

Diesem „Warum passiert das in mir?“ ist unbedingt,
möglichst einfühlsam und verständnisvoll begleitet, nachzugehen.
Erst dann kommt Kunst ihren Zielen Umdenken und besseres (?) Handeln näher.

Passiert das nicht, bleibt das alles eine teure,
aus dem Allgemeintopf finanzierte Investition
für eine besondere Gruppe, ein Tanz der Egoisten,
die für sich einen Ausdruck finden mussten, um nicht zugrunde zu gehen.
Für bunte Vögel, die sich einfach mal etwas herausnehmen und herausragen.
Gockeleien aller Art.

Das Abenteuer gemeinsam weiter erleben

Das ist doch viel zu schade! Viel zu kurz gedacht.
Auf halbem Wege stecken geblieben. Allein gelassen.
Alle Mühe verschwendet!

Da steckt so viel drin! Für alle. 

Also stürzt euch doch rein ins Abenteuer der Anderen,
des anscheinend Fremden. Nehmt euch Zeit. Dafür. Füreinander.

Nach Möglichkeit geht auf „Tuchfühlung“ mit diesen besonderen Menschen.
Anerkennend, aber nicht „hörig“.
Findet heraus, was das für euch sein oder bedeuten kann.

Und fällt nicht zu schnell ein abschließendes Urteil.
Denn alles ist in Bewegung, verändert sich.

Was heute unsinnig erscheint,
kann morgen die Lösung für mein Problem sein –
und wenn ich es nur genau anders herum mache!

Kunst für alle einfach machen

Und ich habe noch einen Laien-Vorschlag:  
Es ist so toll zu sehen, wie die Kinder in verschiedenen Projekten
und Veranstaltungen an die „Kunst“ herangeführt werden. 

Da möchte ich am liebsten mit dabei hocken.

Wie wäre es, wenn ihr die heutigen Erwachsenen,
die einen weniger ansprechenden oder gar keinen
Kunst-Erlebnis-Unterricht erhalten haben,
auf diese Reise mitnehmen und führen würdet?
Ohne Sprachbarrieren und Zugangshürden?

Neues und Zukunft entwickeln
ab hier und jetzt

Das wäre dann eine neue Kultur oder würde den Weg dahin schaffen.
Ich mag mich heute schon darauf einlassen.
Wir sollten nicht warten, bis die oben erwähnten Kinder groß geworden sind
und die „Führung“ mit ihrer erweiterten Sicht übernehmen.

Es tut uns allen gut, das „Neue“ oder auch „Alte“ zu beschnuppern,
zu verarbeiten und etwas Gutes daraus werden zu lassen.

Auch das wäre eine Art Meditation,
ein Weg, aus dem Stress und aus dem
persönlichen Wahrnehmungstunnel
wenigstens mal kurz herauszukommen.
Und dann, immer öfter…Erinnerung an das Wesentliche.

Mal anders betrachtet:
So wird ein Schuh daraus

Um zu der diesjährigen Betonung der
Kunst aus „Kollektiven“ zurückzukommen
und meiner Sprachschelte. Hm.
Die ist vielleicht auch nicht ganz gerecht von mir.
Sie verdeckt, was an Gutem drinnen steckt.

Nehmen wir noch hinzu, dass dieses Jahr in der Ausstellung
ja nicht das „Produkt“, sondern das Entstehen im Vordergrund stehen soll.

Guter Ansatz. Gefällt mir.

Die Documenta-2022-Kunst erscheint dann als Kontrastentwurf 
zu dem, was wir überwiegend gerade leben,
als Anregung zu Rückbesinnung.

Denn dass allein der Geldwert,
wie wir in den letzten immer krasser kapitalistisch
geprägten Jahrzehnten geübt und daran gearbeitet haben,
(ja auch in der Geiz-ist-geil-Haltung gehört dazu),
dass er der bestimmende Wert
unseres Denkens und Handelns wurde,
damit sogar vielleicht den Sinn und das oberste Ziel darstellte –

Dass dieser eigentlich rein fiktive Wert
sich zum entscheidenden Lebenswert mausern konnte,
dieser Zielgedanke zeigt uns ja gerade seine ätzenden,
zukunftsgefährdenden Folgen.

Rolle rückwärts

Was liegt da näher, als eine Rolle rückwärts zu bejubeln:
Weg vom Einzelstar, Einzelkämpfer,
mit Preis versehenem Produkt oder Kunstschaffenden.
Weg von wenigen Wertbesitzern,
hin zu neuer Gemeinschaft, zu gemeinsamen Schaffen und Wirken, 
zu Wieder-Zusammenfinden, um etwas umzusetzen.

„Schlag“- Wort: „Kollektiv“.

Stattdessen den Ausdruck „Gemeinsamkeit“ oder
„Zusammenarbeit“ zu benutzen,
wäre noch „kollektiver“, also verbindender, gewesen.

Aber wäre so aufgefallen, dass das nichts wirklich Neues,
sondern eher Rückbesinnung ist?

Wollte man sich das nicht trauen,
oder fand man das so einfach passender,
so als Elite (wissende Vorreiter)
oder Ausstellungszuschussantragsteller?

Da liegt Kraft drin

Ist Kunst wirklich mächtig, was Veränderung angeht?

Werden wir sie nutzen? 

Oder gruseln wir uns nur gerne ein wenig,
möglichst exklusiv,
und kehren dann zum „Bewährten“ und Üblichen,
„Genormten“ und Gern-Gesehenen zurück? 

KUNST? UN-SINN?

Oder ist das zunächst Unverständliche,
angeblich Besondere doch genau das, was wir alle brauchen?


Uff, ist das  da oben jetzt wirklich von mir?
Oder wo kommt das her?

Jedenfalls hat mich der Bericht dazu gebracht,
über das Gezeigte nachzudenken,
verschiedene ASPEKTE abzuwägen
und das dann auf meine Art auszudrücken.

Schon wieder KUNST? Oder UN-SINN?

Zumindest passt es unter die Überschrift des Blogs:
Sinn und Sinne.
Unsinn gehört wohl dazu…

Jetzt seid ihr dran!

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